- konzeptuelle Tendenzen: Vorrang der Idee
- konzeptuelle Tendenzen: Vorrang der IdeeAls Alternativen zu den überkommenen künstlerischen Vorstellungen, die infolge Marcel Duchamps Kunst ins Wanken geraten waren, entwickelten sich in den Sechzigerjahren in Europa und in den USA konzeptuelle Tendenzen mit stark reduziertem Formenrepertoire. Die große Spannweite dieser Erscheinungen reicht von der Minimalart, die einfachste geometrische Formen und Ordnungen ohne kompositionelle Differenzierung in den Raum stellt oder zu kalkulierten Systemen reiht, über die Landart, in der fernab vom Kunstmarkt die Landschaft selbst zum Gestaltungsmaterial wird, bis hin zur Conceptart, lediglich in Form von Konzepten und Ideen vorliegenden Werken, die keine materiellen Spuren hinterlassen.Entwicklungsgeschichtlich gesehen waren alle diese Strömungen Reaktionen auf die Werke des abstrakten Expressionismus, dessen autobiographische, gestische Exzesse ihnen als diskreditiert galten, und auf dessen Vermarktung. Anstöße gaben vielen jüngeren Künstlern die Arbeiten von Ad Reinhardt, die sich völlig auf theoretisch untermauerte, ethisch motivierte, vordringlich ästhetisch formulierte Ideologien konzentrierten, und die formal auf ein Minimum an Erscheinung reduzierten, großformatigen Gemälde Barnett Newmans. Denn auch die konzeptuellen Tendenzen stellten den herkömmlichen Werkbegriff, dass sich die individuelle psychische Energie des Künstlers in seinen Arbeiten offenbare, infrage und rückten dagegen die vom Werk erzeugten Empfindungen und Erkenntnisse des Betrachters in den Mittelpunkt. Diese Betonung der Wirkung von Kunst auf den Betrachter ist eines der Wesensmerkmale konzeptueller Kunst.Mit der Pop-Art, praktiziert von Künstlern der gleichen Generation, hat die Minimalart die flächenbezogene, geradezu industriell-anonyme Gestaltung gemeinsam. Die Minimalart verzichtete jedoch bewusst auf jede Art von Gegenständlichkeit. Die bevorzugten Organisatonsprinzipien waren stattdessen »primary structures« - primäre Strukturen wie rechter Winkel, Quadrat und Kubus, die mit minimalem Aufwand an ordnenden Eingriffen behandelt wurden. Anders als etwa den Werken konstruktiv-konkret arbeitender Künstler in Europa fehlte den Arbeiten amerikanischer Künstler jedoch meist eine konsequente mathematische Systematik.1959 stellte Frank Stella, der Mitbegründer des »Hard-Edge-Painting«, erstmals seine Gemälde aus, die nur aus rein flächigen und flächendeckenden, gleichartigen schwarzen Streifen in simplen geometrischen Formationen bestehen. Mit diesem einfachen, auf Farbe verzichtenden, malerische Werte negierenden Gestaltungselement stand ihm ein vielseitiges und neuartiges Strukturierungsmittel für die Fläche zur Verfügung. Robert Rymans in der gleichen Zeit begonnenen weißen Gemälde sind lediglich auf zwei unverzichtbare Faktoren der Malerei reduziert, nämlich die (weiße) Farbe und den (quadratischen) Farbträger. Durch Kombination verschiedenster weißer Pigmente in verschiedenen Bindemitteln, in verschiedener Weise auf verschieden beschaffene Untergründe aufgetragen, erzielte er vielfache, sich nie erschöpfende Aussagen über die Beschaffenheit von Malerei. Dan Flavin dagegen kombinierte industriell hergestellte Neonröhren, die weißes oder farbiges, sogar phosphorisierendes Licht ausstrahlen, in einfachen Strukturen; mit ihnen schuf er leuchtende Formkonstellationen und vom Licht atmosphärisch erfüllte, veränderte Räume.Besonders ausgeprägt war die Minimalart im Bereich der dreidimensionalen Gestaltung. Carl Andre, Donald Judd und Richard Serra - Künstler mit relativ feststehenden »Stilen« - konzentrierten sich auf einen bestimmten Material- und Formenbestand, Robert Morris und Walter De Maria variierten dagegen ihre Arbeiten von Fall zu Fall. Andre entwickelte Bodeninstallationen aus industriell gefertigten Holzbalken oder quadratischen Metallplatten, die dem Benutzer beim Begehen einen zwar geringfügigen, doch sehr deutlich wahrnehmbaren Unterschied zum umliegenden Boden signalisieren und ihm einen herausgehobenen Ort zuweisen. Vor Judds Metall- oder Holzkästen kann man die Ungleichartigkeit gleichartig scheinender Objekte erfahren, die unter je verschiedenen Blickwinkeln ihre Individualität enthüllen. Serra stellte angerostete Stahlplatten leicht geneigt gegeneinander, sodass sie sich, wie bei einem Kartenhaus, gegenseitig am Umfallen hindern; nur die minimale strukturelle Logik schafft aus dem industriellen Rohmaterial ein einzigartiges Kunstwerk.Die Spannweite von Morris' Arbeiten reicht von geometrischen Objekten aus Stahl oder Glasfaser über flexiblen Filz und amorphe, brennbare, sogar figürliche Objekte bis hin zu tanzartigen Performances. De Maria überschritt Grenzen hin zur Landart, als er einige der Prinzipien seiner unterschiedlichen minimalistischen Objekte auf den Landschaftsraum übertrug. Ähnlich wie Christo und Jeanne-Claude, die Bauwerke - 1995 etwa das ehemalige Reichstagsgebäude in Berlin - oder Landschaften zeitweise verhüllten und damit umkehrbare Eingriffe vornahmen, zog De Maria vergängliche, lange, gerade Linien durch die Wüste oder gruppierte dauerhafte Objekte zu riesigen Installationen: In der Wüste von New Mexico ordnete er 1977 aus 400 Edelstahlstäben von etwa 6 m Höhe das »Lightning Field« an. Michael Heizer und Robert Smithson griffen dagegen durch Aufgrabung oder Aufschüttung des Erdbodens (»Earthwork«) direkt in die Landschaft ein. So schuf Heizer 1969/70 mit »Double Negative« eine zweiteilige, vom Betrachter zwar begehbare, aber völlig unüberschaubare, bis zu 15 m tiefe Aushebung in der Wüste von Nevada - ein Unternehmen von selbst schon aktionalem Charakter. Smithson interessierte vor allem die von Zivilisationseinwirkungen beeinträchtigte Landschaft; eine künstlerische Versöhnung von Natur und Zivilisation strebte er aber nicht an.Im Extremfall lehnt konzeptuelle Kunst selbst minimalistische, aber noch traditionelle Kunstformen wie Malerei und Bildhauerei ab und beschränkt sich auf ein materielles Minimum: Die Idee selbst wird zum Material der Kunst - ein Gedanke, der bereits in der Renaissance eine gewisse Rolle spielte. Bei Joseph Kosuth tritt die Kunst an die Stelle von Sprachanalyse und Philosophie. Der Künstler selbst bleibt unsichtbar; unerheblich ist auch, ob das erdachte Werk überhaupt noch realisiert wird. Andere Künstler, etwa Lawrence Weiner, beschränkten sich nur noch auf den spielerischen Umgang mit Sprache als Material ihrer Kunst.Prof. Dr. Matthias BleylKunst des 20. Jahrhunderts, herausgegeben von Ingo F. Walther. 2 Bände. Köln u. a. 1998.Thomas, Karin: Bis heute. Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert. Köln 101998.
Universal-Lexikon. 2012.